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Übersetzen mit Weitblick - Im Übersetzerhaus Looren/CH


Früher Morgen und es wird noch lange still im Haus sein. Hier im Übersetzerhaus Looren schlafen sich die anderen aus, denn die meisten anderen Wortmenschen hier sind eher Typ Nachteule und wachen auch vom Schrei des engagierten Gockels nicht auf, der seine Arbeit hörbar ernst nimmt. Ein Demeterhof, nur einen Steinwurf entfernt.

 

 

Ich bin ein Morgenmensch. Mich beflügeln Kuhglockengeläute und Wiesenduft, der kühle Morgen riecht gut und entspannt mich in diesen brütend heißen Spätsommertagen. Man sucht sich seine Plätze, hier in dem Haus aus den Fünfzigerjahren, ich habe meine im Erdgeschoss bei der Kinderliteratur und den Texten aus der deutsch- und italienischsprachigen Schweiz gefunden sowie draußen auf der Bank unter dem Feigenbaum, an dem – welch eine Freude! - gerade jetzt die Früchte reifen. Dort kann ich die fantastischen Silhouetten des Kleinen und Großen Mythen in den Schwyzer Alpen bestaunen und natürlich auf den Zürichsee schauen. Ein Ort für Weitblick in jeder Hinsicht.

 

 

Das Übersetzerhaus Looren ist klein. In einem Haus, das nur zwölf Gäste beherbergen kann, hat man sich schnell kennengelernt, das macht es uns leicht. Hier gibt es ein herzliches Miteinander, das schon die Gästebetreuerin Antonia Maino bei ihrer Begrüßung vermittelt, und das sich fortsetzt im Büro. Alle sind hilfsbereit und engagiert, man spürt gleich: jeder kommt gern an diesen Ort!

 

 

Dieser Spirit, der ansteckend wirkt auf die Gäste, erweist sich als Katalysator für meine Arbeit. Ich übersetze hier so viele Seiten wie nie, meine Gedanken durchdringen den Text ungehindert und gleichzeitig lese ich fleißig andere Werke, zur Sprachpflege, wie man so schön sagt. Hier gibt es nur mich und meine Arbeit, eine Fokussierung, die mir zu Hause nicht recht gelingen will. Und wenn meine Konzentration erschöpft ist, dann sind da diese freundlichen Übersetzerkolleg*innen mit all ihren Sprachen.

 

 

Gleich am ersten Abend fragte mich die dänische Kollegin, in welcher Sprache sie den Satz begonnen habe? Sie sei nicht mehr sicher. Ja, so ist es hier. Wir sprechen unsere Sprachen und verstehen uns. Wir erzählen von unseren Sprachen, wir vergleichen sie und finden Gemeinsamkeiten, suchen instinktiv Zugang zum Denken in der fremden Kultur. Und da beginnt der Prozess: Dieses Kennenlernen eliminiert das Adjektiv „f-r-e-m-d“. Wir nähern uns der Kultur des anderen, der Denkweise, der Art zu leben, und damit rücken wir ein Stück aneinander heran.

 

 

Deshalb sind solche Begegnungsstätten so wichtig. Und Looren wäre nur halb so wertvoll, hätte ich diesen malerischen Ort ganz für mich allein, nur für mich und meine Arbeit. Gerade in Zeiten des Krieges, in Zeiten, die uns mit vielen bedrohlichen Szenarien in Angst und Schrecken versetzen, ist so ein unbeschwerter Austausch von unschätzbarem Wert. Hier blicken wir Wortmenschen voller Neugier über die Grenzen, und eine Berührung findet statt. Fernab von Nationalität.

 

 

Wir kochen miteinander, wir teilen unseren Wein. Es gibt Welcome- und Good-bye-Feste und Zimtschnecken für alle. Nicht nur Sprache verbindet. Und das ist wirklich der einzige Wermutstropfen für mich: Kein Schwede hat den Weg hierher gefunden.

 

 

 

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